Für das Autor*inneninterview des Monats konnten wir für Juli den Science-Fiction-Autor Reda El Arbi gewinnen, der mit seinem Debütroman “[empfindungsfæhig]” in der aktuellen Bestenliste den zweiten Platz belegt. Das Interview führte Aşkın.
Hallo Reda, beschreib dich doch bitte als Einstieg in drei Worten.
Resilienter, neurodivergenter GenXler…
Was sind deine aktuellen Projekte und was sind deine größten Leidenschaften?
Zurzeit arbeite ich an einer Kurzgeschichte, einem Theaterstück für Jugendliche und der zweite Roman mit Lea Walker und Cali ist gerade aus dem Lektorat zurückgekommen. Infolge meines ADHS wechseln meine Leidenschaften meist stündlich. Was mich aber immer begleitet hat, ist meine Begeisterung für Storytelling, egal ob als Journalist, als Leser, als Campaigner oder als Autor. Und dann sind da noch meine Haustiere, guter Kaffee und Zigaretten. Die anderen, übleren Leidenschaften habe ich schon eine Weile hinter mir gelassen.
Was ist das Besondere an deinem Roman “[empfindungsfæhig]”?
Für mich persönlich ist das Besondere, dass es anderen Menschen Spaß macht. Dass ich morgens um zwei empörte Textnachrichten kriege, in denen sich die Leute über den Tod einer Protagonistin beschweren. Für die Literatur? Ich denke nicht, dass mein Buch so wichtig ist. Für die Leser*innen: wenn jemand ein paar Tramstationen verpasst, weil es gerade so spannend war, finde ich das besonders.
Inhaltlich wurde ich oft gefragt, warum ich mir eine Frau als Heldin gewählt hab. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Aus dem Bauch heraus würde ich behaupten, dass ich die Geschichte einfach interessanter erzählen kann, wenn eine Frau die Heldin ist. Mich hat schon bei der Terminator-Reihe in den 80ern Sarah Connor mehr begeistert als Schwarzenegger.
Womit prokrastinierst du am liebsten?
Mit Kaffee, Hundespaziergängen und Random-Knowledge-Hyperfocus. Letzte Woche sollte ich einen Artikel zum Thema Bühne und Theater schreiben – drei Stunden später wusste ich alles über die Geschichte des Jesuitenordens. Der kommt im Artikel nicht vor. Und PC-Games. Kann ich endlos spielen.
Und welches Buch (nicht von dir) sollte jede*r von uns lesen?
„The World According to Garp“ (Garp und wie er die Welt sah) von John Irving. Der Autor schafft es, die absurdesten Geschichten völlig plausibel erscheinen zu lassen. Der charmante Wahnsinn der Figuren ist so lebensecht, dass man sich kaum vorstellen kann, dass dies jemand erfunden hat. Alle Protagonist*innen sind facettenreich, schräg, liebenswert und absolut nervig. Dazu ist es einer der ersten Romane, in dem Inklusion einfach Teil der Geschichte ist, ohne erzieherisch sein zu wollen. Bestes Stück Literatur, das ich kenne.
Was muss ein perfektes Buch überhaupt bieten?
Neben Spannung? Die Figuren müssen echt sein. Ich muss sie mir mit ihren Stärken und Schwächen als Menschen vorstellen können. Niemand ist absolut rein in seinen Motiven und niemand ist absolut böse. Wenn ich die Motivation und den emotionalen Zustand einer Figur verstehe, dann bin ich dabei. Auch wenn ich die Figuren nicht mag.
Hattest du schon mal eine Schreib- und/oder Leseblockade? Was hat dagegen geholfen?
Bei mir wechseln sich Blockade und Schreibrausch ab. Den Plot zu meinem ersten Buch, rund 400 Seiten, habe ich in vier Wochen geschrieben. Dann kommt wieder eine totale Blockade, in der ich keinen Satz tippen kann. Mir hilft, dass ich weiß, es dauert nicht an, weder das eine noch das andere.
Was sollte sich im Literaturbetrieb ändern?
Ich komme ja aus der Schweiz und bei uns ist der Literaturbetrieb noch sehr elitär. Sci-Fi gilt nicht als wertig, auch Thriller haben es schwer. Die Krimis handeln immer von einer Person, die sich mehr mit ihrem psychischen Innenleben auseinandersetzt als mit dem Fall. In den letzten Jahren hatte fast nur Auto-Fiction Gewicht, also Geschichten, die Autor*innen fiktiv über sich selbst schreiben. Das langweilt mich. Diese aufgesetzte Zurschaustellung von gedanklicher Tiefe und bemühter Reflexion finde ich ätzend. Aber vielleicht ist mein Leben einfach herausfordernd genug, meine Gedanken tief genug, dass ich beim Lesen nicht auch noch die (leider oft recht faden) Einsichten anderer Menschen lesen will. Da gehe ich lieber in meine Selbsthilfegruppe und höre Leuten zu, die wirklich ums Überleben kämpfen.
Wie siehst du die Zukunft in 100 Jahren?
Gar nicht. Dann bin ich hoffentlich tot. Aber entgegen vieler alter, weißer Männer aus meiner Generation vertraue ich auf die Fähigkeiten, auf die Intelligenz und auf die Resilienz der jüngeren Generationen Z und Alpha. Die kriegen das irgendwie hin.
Vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast!
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