Für das Autor*inneninterview des Monats konnten wir für Dezember Freya Petersen gewinnen, die mit ihrem Roman “Die Mutter der Masken – Säure” in der aktuellen Bestenliste den vierten Platz belegt. Das Interview führte Aşkın.
Hallo Freya, beschreib dich doch bitte als Einstieg in drei Worten.
Kreativ, gewitzt, stur.
Was sind deine aktuellen Projekte und was sind deine größten Leidenschaften?
Band 2 von „Die Mutter der Masken“ beansprucht nahezu all meine Freizeit und Hirnzellen. Aber ab und zu erlaube ich es mir, ein bisschen an anderen Projekten zu träumen: Eine Science-Fiction-Geschichte über einen Cyborg, der nach einem 3000-Jahre-Nickerchen aufwacht und sein Hirn nicht wieder findet und eine autofiktionale Graphic Novel über Autismus und mentale Gesundheit. Manchmal arbeite ich aus Versehen sogar schon an meiner Masterarbeit – wahrscheinlich irgendetwas in Richtung Autismus und/oder Geschlechterrollen in deutschsprachiger Phantastik. Oder zu Faschismus in Fantasyliteratur. Oder alles in einem. Aber das kann ich meiner Prüferin nicht antun.
Ansonsten: Ich bin Sammlerin von Leidenschaften und habe (neben Schreiben und Illustrieren) immer einige in Rotation. Aktuell sind es Linoldruck, Schneidern und Erdnüsse an Krähen verfüttern.
Was ist das Besondere an deinem neuen Buch “Die Mutter der Masken – Säure”?
Ich persönlich liebe die Vielschichtigkeit der Geschichte und fühle mich beim Schreiben, als müsste ich einen chaotischen Familienausflug in verschiedene menschliche Abgründe verwalten. Gleichzeitig gibt es da aber neben all dem Stress und der Brutalität diese kleinen Momente hart erkämpfter Zärtlichkeiten zwischen den Figuren, die sehr berühren. Die Protagonistinnen sind einfach herrlich derb und verkorkst, was mich ungemein amüsiert. Und nicht zuletzt wurde mir gesagt, „Die Mutter der Masken“ hat ein sehr besonderes und einzigartiges Worldbuilding.
Womit prokrastinierst du am liebsten?
Dem Konzept der Prokrastination stehe ich grundsätzlich misstrauisch gegenüber, weil es oft genutzt wird, um Leuten ein schlechtes Gewissen zu machen, wenn sie Pausen brauchen oder nicht in die Arbeitsabläufe einer neurotypischen, kapitalistischen Kultur passen. Wenn ich aber prokrastiniere, dann mit Serien oder YouTube gucken. Manchmal liege ich auch einfach auf dem Boden und daddel auf Social Media herum.
Welches Buch (nicht von dir) sollte jede*r von uns lesen?
Abgesehen von unserem kompletten queeren, düsteren und phantastischen Verlagsprogramm bei Lost Hero Publishing … „Loveless“ von Alice Oseman. Einfach aus purem Eigennutz. Würden alle Leute „Loveless“ lesen, müssten asexuelle und/oder aromantische Leute im Alltag nicht mehr absolute Basis-Aufklärungsarbeit betreiben, jedes Mal, wenn es um ihre Sexualität geht.
Was muss ein perfektes Buch überhaupt bieten?
Ehrlichkeit und Nähe. Ich habe keine Geduld mehr für Gegenwartsliteratur, die mich beim Lesen zynisch auf Distanz hält. Und Mut zu großen und/oder komplexen Emotionen oder Konzepten. Lieber lese ich ein Buch, das versucht, einen spektakulären Salto zu schlagen und dabei die Landung nicht ganz schafft, als Geschichten, die die immer gleichen ausgetretenen Pfade entlang spazieren.
Hattest du schon mal eine Schreib- und/oder Leseblockade? Was hat dagegen geholfen?
Da ich in meinen verschiedenen Jobs und in der Uni pausenlos mit Texten arbeite, kann ich mir eine Leseblockade gar nicht wirklich leisten. Deswegen kommt leider auch im Feierabend kaum Lesevergnügen auf, was schade ist. Aber da hilft nur, nichts erzwingen zu wollen und wenn ich dann wieder kann, warten ganz viele gute Lektüren auf mich.
Schreibblockaden habe ich zum Glück seltener. Wenn mein Gehirn nicht regelmäßigen Auslauf bekommt, fängt es an, Krisen auszubrüten und die Möbel meiner Seele zu zernagen. Aber wenn ich dann doch mal eine Schreibblockade habe, hilft entweder Bewegung … oder ich sitze so lange stur vor dem Laptop, bis die Blockade mich nicht mehr sehen mag und aufgibt. Denn keine noch so unbefriedigende Schreibrunde kann mich so unglücklich machen, wie wenn ich gar nicht tippe.
Was sollte sich im Literaturbetrieb ändern?
Autor*innen sind nahezu die einzigen Leute im Literaturbetrieb, die nicht von ihren eigenen Veröffentlichungen leben können – und das wird sehr oft als unvermeidbare Gegebenheit dargestellt. Zusammenhängend: Der Literaturbetrieb hat ein massives Klassismusproblem. Schreiben braucht Zeit, und die muss man sich wortwörtlich leisten können. Vor allem mehrfach marginalisierte Autor*innen wird oft der Fuß gebrochen im Versuch, ihn irgendwie in die Tür zu bekommen. Auch der deutsche Snobismus gegenüber sogenannter Genreliteratur darf meiner Meinung nach gerne aussterben – obwohl sich da laaaaangsam etwas tut, zumindest an meinem Studienort (Literaturinstitut Hildesheim). Überhaupt möchte ich betonen: Viele Dinge ändern sich bereits zum Guten, aber eben nicht durch Zufall, sondern weil eine Menge Leute auf verschiedenen Ebenen Lärm und Druck machen.
Wie siehst du die Zukunft in 100 Jahren?
Entweder sehr anders als heute oder sehr gleich – beide Vorstellungen find ich erschreckend. Es ist schwer, verallgemeinernd eine Prognose zu machen, da unsere Welt so viele unterschiedliche Orte und Realitäten beinhaltet und sich alleine ja schon in der Zeitspanne von einem Jahr unfassbar viel ändern kann. Aber wie Aktivistin und Autorin Leena Norms sagt: „Unsere Apokalypse ist optional.“ Ich pokere darauf, dass die Menschheit schlicht und einfach keine andere Wahl hat, als die Kurve zu kriegen. In der Zwischenzeit ist es mein Ziel, zwischen all dem Chaos irgendwie Kunst und Aktivismus zu machen und ein erfülltes Leben für mich und meine Liebsten zusammenzukratzen, voller kleiner und großer „Das ist es wert“-Momenten. Jetzt erst recht.
Vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast!
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