Für das Autor*inneninterview des Monats konnten wir für April Ria Winter gewinnen, die mit “Sonnenerben – Das Vermächtnis der Quindici” in der aktuellen Bestenliste den vierten Platz belegt. Das Interview führte Aşkın.

Hallo Ria, beschreib dich doch bitte als Einstieg in drei Worten.
Neugierig, empathisch, tagträumend.
Was sind deine aktuellen Projekte und was sind deine größten Leidenschaften?
Aktuell schreibe ich den Erstentwurf meiner Sci-Fi-Sports-Romance und überarbeite den ersten Band meiner Dark-Fantasy-Dilogie (beide queer). Ich liebe es, Geschichten zu schreiben, die sich nicht so leicht in Schubladen stecken lassen, mit und über Figuren, die komplex und messy sind. Es freut mich, wenn ich Lesende überraschen kann, aber auf eine Weise, die rückblickend Sinn ergibt.

Was ist das Besondere an deinem neuen Buch “Sonnenerben – Das Vermächtnis der Quindici”?
Es ist Urban Fantasy, aber es geht nicht um Vampire, Engel, Hexen oder andere bekannte übernatürliche Wesen. Das titelgebende Erbe der Sonne ist zwar durchaus übernatürlich, aber man findet erst nach und nach heraus, was es tatsächlich damit auf sich hat (und ob es überhaupt etwas Wünschenswertes ist). Das Besondere ist auch die Protagonistin Jonna – sie ist sehr chaotisch und auf sich fokussiert und tut gerade zu Beginn Dinge, für die man sie am liebsten an die Wand klatschen möchte. Ich wollte mal eine Heldin haben, die nicht von Anfang an moralisch einwandfrei ist, sondern echt Mist baut, die Konsequenzen abkriegt und daraus lernt. Teil ihrer Selbstfindungsreise ist es auch, damit klarzukommen, dass sie als aromantisch-asexuelle Person ein anderes Lebensmodell braucht als den Pärchen-Ehe-Kinder-Standard. Deswegen spielt in diesem Buch platonische Liebe eine sehr große Rolle und es gibt keinen Romance-Plot.
Womit prokrastinierst du am liebsten?
Lesen, gamen und mit einem Tee in der Hand die Gedanken wandern lassen!
Welches deiner Bücher sollten wir jetzt sofort aus welchem Grund lesen?
Ich würde euch jetzt so gern meinen Debütroman „Tal der Toten“ ans Herz legen, weil ich den gerade für die Neuauflage mal wieder gelesen hab und ihn echt gut finde (messy, wütend, atmosphärisch), aber der ist leider noch nicht wieder erhältlich. Daher lest alle sofort „Der Feuervogel von Istradar“, den ersten Band meiner Feuervogel-Chronik, für einen Krimi-Plot in einem slawischen Fantasy-Setting und zwei lesbische Hauptfiguren, die in sehr unterschiedlichen Welten leben und trotz Intrigen und Gewalt unerwartete Zuflucht ineinander finden.
Und welches Buch (nicht von dir) sollte jede*r von uns lesen?
„Spaßpark“ von Brian Frank! Dieser queere, literarische Horrorroman im niedersächsischen Setting hat mich umgehauen – mit den vielschichtigen, kantigen und aufwühlenden Charakteren und ihren komplexen Beziehungen, mit dem Nebeneinander von Brutalität und Zärtlichkeit, mit extrem gut geschriebenen Actionszenen und mindestens genauso gut geschriebenen, atmosphärischen Beschreibungen und Dialogen. Perfekt für Fans von Stephen King und der Dynamik aus der ersten Staffel „Stranger Things“, aber auch für alle, die einfach ein verdammt gutes Buch lesen wollen.

Was muss ein perfektes Buch überhaupt bieten?
Für mich braucht es vor allem Originalität und Herz. Ich will über vielschichtige Charaktere lesen, die das besondere Etwas haben, und von der Geschichte überrascht werden: von einem originellen Worldbuilding, unerwarteten Wendungen (die aber gut in der Story angelegt sind), moralischen Komplexitäten … Und ich will Bücher lesen, die unsere sehr facettenreiche Gesellschaft abbilden und Perspektiven einbringen, die aktuell noch zu kurz kommen.
Hattest du schon mal eine Schreib- und/oder Leseblockade? Was hat dagegen geholfen?
Beides, ja. Bei Leseblockaden hat es mir geholfen, Buddy Reads anzuzetteln, also ein Buch in Absprache mit einer befreundeten Person zu lesen. Bei Schreibblockaden kommt es auf das Projekt an. Bei manchen brauchte ich einfach Abstand, da hab ich es dann ein paar Wochen ruhen lassen, um wieder mit frischen Augen draufzusehen und festzustellen, wo es hakt (oft hilft Abstand auch, sich wieder an die Liebe zum Projekt zu erinnern, die beim Schreiben auch mal flöten geht). Bei anderen musste ich die letzten Szenen/Kapitel oder das ganze bisherige Ding anschauen und überlegen, was mich blockiert. Beim Dark-Fantasy-Roman kam ich nach 70 Prozent Erstentwurf nicht weiter und hab nach etwas Analyse und Selbstreflexion festgestellt, dass sich die Story inzwischen so weit vom Anfang entfernt hatte, dass das ganze Fundament wacklig war. Also hab ich das meiste davon in die Tonne getreten und noch mal neu angefangen. Diesmal ohne Schreibblockaden!
Was sollte sich im Literaturbetrieb ändern?
Ich wünschte, wir hätten eine gute Art, Leuten Geschichten zu vermitteln, ohne sie in Marketing- und Genrekorsetts zu stecken. Ich bin es so leid, mir Gedanken über verkaufsfördernde Tropes machen zu müssen, nur damit irgendwer unter all den tausenden Neuerscheinungen mein Buch sieht. Und ich hätte gern irgendeine Art des direkten Austauschs mit den Lesenden, der nicht auf Bezahlmodellen und Social-Media-Algorithmen beruht. Ich lese viel Fanfiction und beneide manche Autor*innen in aktiven Fandoms, unter deren Werken sich einzelne Kommentare zu ganzen Diskussionsthreads und Analysen der jeweiligen Kapitel entspinnen. So eine Community will ich auch, sowohl zu meinen eigenen Büchern als auch zu Büchern anderer, die ich liebe. Ich hasse es, ins Vakuum zu schreiben, und das geht vermutlich den meisten Schreibenden so.
Wie siehst du die Zukunft in 100 Jahren?
Hoffentlich nicht komplett von KI-Büchern überschwemmt … Nein, das glaub ich tatsächlich nicht. Menschliche Kreativität wird immer gefragt sein, auch noch in 100 Jahren. Aber das ist so ein absurd langer Zeitraum – ich bin noch ohne Smartphone und Social Media zur Schule gegangen und das ist gerade mal 20 Jahre her! Keine Ahnung, welche revolutionären Erfindungen uns noch erwarten. Aber hoffentlich welche, die uns alle zusammenbringen.
Vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast!
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