Das sind die besten phantastischen Romane der letzten 12 Monate. Jeden ersten Freitag im Monat stellen unabhängige Literaturkritiker*innen und Phantast*innen die besten Romane des Genres vor.
Europa ist in der Zukunft zu einer Megastadt geschrumpft, umgeben von einer postapokalyptischen Landschaft aus Müll – Proto. Mikroplastik mit Sand vermischt türmt sich zu Dünen auf und bizarre Skulpturen aus Plastiglomerat stechen in den trüben Himmel. Die Menschen flüchten vor der Realität in virtuelle Welten, verbringen ihre ganzen Leben dort. Doch als eine dieser Welten, Proxi, zerstört wird, wagen sich Tell, Kawi und die Biosynth Dion hinaus in die surreale Weite von Proto. Ihr Ziel: der geheime Server, auf dem das Backup von Proxi liegt. Tell und Kawi wollen ihre Leben zurück – doch will Dion das auch? In Proto erwartet sie neues Leben und so manche Überraschung …
CN: Agoraphobie, Gaming Disorder, Postklima, VR-Kalypse
Platzierung im Vormonat (-)
Hamburg ist in den 2040ern eine gespaltete Stadt: im Norden leben die Wohlhabenden in Gated Communities und schützen sich mit ihrem Reichtum vor den Folgen der eskalierenden Klimakrise. Im Süden leben die Armen, denen Dürren und Hochwasser zusetzen. Hamburg versumpft, während es kaum noch frische Lebensmittel gibt. Aylin arbeitet in den Gewächshäusern der Drosera AG, die ihrer Kundschaft verspricht, menschliches Bewusstsein auf Pflanzen speichern zu können. Als die Speicherpflanzen ungewöhnliche Muster zeigen, schneidet Aylin unerlaubt Stecklinge ab, um diese im Netz zu verkaufen. Zara Zerbe hat ein vielschichtiges Porträt der nahen Zukunft gezeichnet, das im Kern von sozialer Gerechtigkeit und Solidarität handelt.
CN: Klassismus, Rassismus, Solastalgie
Platzierung im Vormonat (2)
Die Biologin Ha Nguyen soll auf dem abgeriegelten Con-Dao-Archipel eine Oktopus-Spezies erforschen. Dort trifft sie auf den Androiden Evrim, Projektleitung und Hochleistungs-KI des Tech-Konzerns DIANIMA. Doch es ist nicht nur die mongolische Sicherheitskraft Altantsetseg, die sie mit Argusaugen beobachtet. Während sich Ha an das Verstehen der Oktopoden herantastet, zieht sich das Netz derjenigen immer enger, die sich den Archipel aneignen wollen mit allem, was er birgt. Virtuos und spannend lotet Nayler die Grenzen des menschlichen Bewussteins aus – ein Ökothriller mit viel Nachhall.
CN: Blut, körperliche & psychische Gewalt, Mord, Sklaverei, Tod
Platzierung im Vormonat (1)
Maali Almeida ist tot und hat noch sieben Tage Zeit, als Geist seinen eigenen Mord aufzuklären. Shehan Karunatilaka lässt die Leser*innen durch die Perspektive eines zynischen, schwulen und dem Glücksspiel verfallenen Kriegsfotografen die 1980er des mehrere Jahrzehnte langen Bürgerkriegs in Sri Lanka erleben. Brutal ehrlich kommen tote und lebende Friedensaktivist*innen, Rebellen, korrupte Polizisten, Kriegsprofiteure und Politiker mit blutigen Westen zu Wort. Ein Murder Mystery vermengt mit mythologischen Elementen, realsatirischem Flair und schwindelerregender Orientierungs- und Hilflosigkeit zu einer Zeit, in der niemand zu den ‚Guten‘ zählt. Denn „Nicht das Böse sollten wir fürchten, sondern die Geschöpfe mit Macht, die im eigenen Interesse handeln. Bei denen muss es uns kalt den Rücken hinunterlaufen. Wie sonst ist der Wahnsinn der Welt zu erklären?“
CN: Alkohol-, Drogen- und Tabakkonsum, Blut, Body Horror (Verwandlung), Feuer, Folter, Geister, Glücksspiel, körperliche & psychische Gewalt, Krieg, Mord, Queerfeindlichkeit, Rassismus, Sex, sexualisierte Gewalt, Suizid, Waffen
Platzierung im Vormonat (4)
Drei ungleiche Helden machen sich auf, einen Naga zum Großtempel Hainsha zu geleiten: der alte Kämpe Kaygon Draka mit seinem Zweiklingenschwert, der immer zu Scherzen aufgelegte Dokebi Bihyung mit seinem Reitkäfer Nanui und der gigantische Lekon Tinahan, der den Kopf eines Hahns hat. So fremdartig wie diese Wesen ist auch die Welt, in die Lee Young-do die Lesenden entführt. Zwar klingen immer wieder vertraute Motive an, doch ist diese Fantasy aus Korea erfrischend anders. Faszinierend bis zum Schluss!
CN: Blut, Bodyhorror, Kannibalismus, körperliche & psychische Gewalt, Mord, sexualisierte Gewalt
Platzierung im Vormonat (5)
Hannibal ist tot. Seine Frau reitet auf einer göttlichen Elefantenbestie zurück zum Heer und trägt fortan seinen Namen, verfolgt weiter seine Pläne und zieht gegen Rom. Ihr zur Seite steht die Bestienjägerin Tamenzut, die das karthagische Heer mit mythischen Kreaturen der Antike wie der Hydra aufrüstet. Während Hannibal mit ihren genialen Strategien und den Bestien eine Schlacht nach der anderen gewinnt, kämpft die Römerin Fulvia um das Erbe ihrer Stiefkinder und wird zur Verräterin. Der Krieg nähert sich Rom unaufhaltsam und fordert immer mehr Opfer, auch jene, die Hannibal schonen wollte. Doch Menschen sind oftmals die wahren Monster …
CN: Abtreibung, körperliche & psychische Gewalt, Krieg, Misogynie, sexualisierte Gewalt, Sklaverei, Suizidalität
Platzierung im Vormonat (7)
Lange bevor „Ihre Brillanz“ zu Prinzessin Shioris Stiefmutter wurde, war sie ein Mädchen mit einem Schlangengesicht. Fortan kämpft sie darum, ihren Fluch zu brechen und das Leben ihrer kleinen Schwester zu schützen. Doch als diese an einen grausamen König verkauft werden soll, nimmt das Schicksal unerbittlich seinen Lauf. Elizabeth Lim erzählt in diesem Prequel zu „Die sechs Kraniche“ die Geschichte und die unsterbliche Liebe zweier Schwestern. Packend und tragisch von Anfang bis Ende.
CN: Alkoholkonsum (erwähnt), Ausgrenzung, Blut, Gefangenschaft, physische Gewalt, Gewalt gegen Tiere, Gewalt in der Familie, Schlangen, Tod
Platzierung im Vormonat (8)
Mit der Wortweberin schafft Elvira Zeißler ein faszinierendes Fantasyepos um göttliche Gaben, verfeindete Länder, Liebe und Verrat. Chiara ist nur das Spielzeug ihrer Prinzessin, sie lässt diese sehen, was sie sich wünscht, denn Chiara ist eine Wortweberin. Plötzlich überfallen feindliche Truppen das Grenzland und fordern als Friedensunterpfand die Prinzessin. Doch da Chiara die Prinzessin wie keine andere kennt, wird sie an der Prinzessin statt geschickt, nicht wissend, was sie von der Ehe mit dem barbarischen Fürsten des Nachbarlandes zu erwarten hat. Spannend, eindrücklich und voller überraschender Wendungen.
Platzierung im Vormonat (9)
Im Schweden des frühen 20. Jahrhunderts sucht der als Pflegekind aufgewachsene Martin nach seinem Vater. Der einzige, der ihm dazu Hinweise geben kann, ist der alte Hund Jack, der sich ihm auf der Suche anschließt. Frida Nilssons Romane kommen zwar im Gewand des Kinderbuchs daher, doch sind sie mit ihrer leicht märchenhaften und dabei nie seichten Art wunderbare Lektüre auch für Erwachsene. Sozialkritisch, ungeschönt und dabei doch voller Hoffnung – ein Geheimtipp für Menschen, die sich aufs Kinderbuch einlassen können!
Platzierung im Vormonat (10)
In einer Welt, deren Frieden nicht für alle gilt, schlägt Olga sich als Postbotin durch, während sie auch noch ihre Mutter Olathe pflegen muss. Diese war vor 20 Jahren Irrlichtjägerin, hat die Mutter der Masken besiegt und ist verändert aus dem Krieg zurückgekehrt. Jetzt sind auch die Irrlichter plötzlich zurück und Olgas Probleme vervielfachen sich. Freya Petersen hat mit den Silberlanden eine grandiose und kreative Welt geschaffen und die vielschichtigen Charaktere und ihre Beziehungen zueinander gehen direkt unter die Haut. “Die Mutter der Masken – Säure” ist ein vielversprechendes und düsteres Buch mit toller (nicht nur) queerer Repräsentation.
CN: Gaslighting, Gewalt, Krieg, Trauma
Platzierung im Vormonat (-)
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