Das sind die besten phantastischen Romane der letzten 12 Monate. Jeden ersten Freitag im Monat stellen unabhängige Literaturkritiker*innen und Phantast*innen die besten Romane des Genres vor.
In naher Zukunft klafft die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinander wie noch nie. Immer mehr Leute nutzen die technischen Möglichkeiten und den Ressourcenüberfluss, um aus der von dem sprichwörtlichen einen Prozent kontrollierten Gesellschaft auszusteigen und ihrer eigenen Wege zu gehen. Ohne Staatszugehörigkeit, ohne geschriebene Gesetze gelten diese sogenannten Walkaways als Vagabunden, Verbrecher oder Terroristen. Doch als drei Freunde den Ausbruch aus dem System wagen und selbst zu Walkaways werden, erwartet sie dort keine Anarchie, sondern eine völlig neue Art des selbstbestimmten Zusammenlebens – und ein wissenschaftlicher Durchbruch, der die Welt verändern könnte.
Cory Doctorow macht in seiner Utopie der Verweigerung keine halben Sachen: Seine Figuren sind zuversichtliche Idealisten, die begriffen haben, dass ihre Entscheidungen nicht nur ihr eigenes Leben beeinflussen, sondern auch die Gesellschaft bestimmen können, die sie sich aufbauen. Es ist ihm absolut ernst mit dem Versuch, umzudenken und neue Geschichten für eine andere Zukunft zu finden, und das merkt man beim lesen.
Platzierung im Vormonat (8)
Mit Unter uns die Nacht verabschiedet sich Becky Chambers endgültig von herkömmlichen Handlungsmustern, um in Momentaufnahmen sechs Figuren zu verfolgen, die auf ihre Weise alle um Selbstentfaltung ringen, und zeigt durch deren Augen, wie die auf Abschottung und Bewahrung bedachte Kultur einer nicht mehr zeitgemäßen Sternenflotte sich mit ihren eigenen Traditionen auseinandersetzt. Selten wurden Fragen nach Heimat, Tod und Verlust so behutsam und zugleich so nachdrücklich gestellt, selten erreichte soziale Science-Fiction dieses Niveau. Wer sich bereits über Der lange Weg zu einem kleinen, zornigen Planeten oder Zwischen zwei Sternen in Chambers Wayfarer-Universum verliebt hat, braucht diese Empfehlung ohnehin nicht, doch auch Leser*innen, denen diese pazifistischen Entwürfe etwas zu überzuckert waren, sei dieser neue, alleinstehende Band ob seiner schwermütigen Lebensnähe ans Herz gelegt.
Platzierung im Vormonat (-)
In einem zukünftigen Berlin, das nach vielen Naturkatastrophen mittlerweile am Meer liegt, hat sich die Gesellschaft in Erfinder und Zauberer aufgeteilt. Sarah Stoffers hat in ihrem Roman eine Mischung aus Fantasy und Steampunk geschaffen, in der eine Reihe vielfältiger Charaktere agieren. Fidelio, der kurz vor seiner Prüfung zum Zauberer steht, und die Erfinderin Mathilda sind beide in Rosa verliebt. Am Abend, an dem sie ihr beide ihre Liebe gestehen wollen, wird Rosa jedoch vergiftet. Angeblich sollen die Erfinder etwas damit zu tun haben, doch sowohl Mathilda als auch Fidelio werden misstrauisch und wollen auf eigene Faust herausfinden, warum Rosa ihnen genommen wurde.
CN: Alkoholkonsum, körperliche Gewalt, Gift, Klassismus, Polizeigewalt, Tod, toxische Beziehung
Platzierung im Vormonat (3)
A. und Niamh ziehen in ein altes Haus, von dem man sagt, es sei von Geistern besessen. Von Neugier getrieben, beginnt das Paar Nachforschungen über die Geschichte des Anwesens anzustellen…Klingt nach einem durchshnittlichen Geisterhaus-Roman? Jawohl. Ist er das auch? Nein! Was wir hier haben, ist ein einzigartiges Buch, das ausschließlich aus Briefen, Tagebucheinträgen, Notizen, rätselhaften Kritzeleien, Tonbandaufnahmen und Beschreibungen von Videoaufzeichnungen besteht. All diese vielen verschiedenen Blickwinkel und Perspektiven lassen die Geschichte auf eine sehr unheimliche Weise lebendig werden. Das ist nicht nur äußerst originell, es macht auch überraschend viel Spaß. Die Handlung springt in kleinen Schritten von Höhepunkt zu Höhepunkt und entfesselt eine schaurige Überraschung nach der nächsten. Ein Buch, frei nach dem Motto: Mittendrin, statt nur dabei. Einziger Kritikpunkt: Das Buch ist viel zu schnell vorbei…
Platzierung im Vormonat (6)
Magische Türen in andere Welten gibt es wirklich. Doch ist das Leben dort nur selten wie bei “Alice im Wunderland”. Und was geschieht eigentlich mit den Kindern, die den Weg zurück in die echte Welt finden? “Der Atem einer anderen Welt” nimmt dich mit auf eine Reise in die unterschiedlichsten Welten voll von Wahnsinn, Horror und/oder Logik – wobei unsere Welt nicht davon ausgenommen ist. Alles garniert mit einem Hauch Magie macht “Der Atem einer anderen Welt” zu einem herausragenden Roman.
Platzierung im Vormonat (10)
Eine ganz eigene Antwort darauf, warum wir von anderen Völkern “dort draußen” im All noch nichts gehört haben, liefert Cixin Liu in seiner Trisolaris-Trilogie. Der Abschlussband der Reihe blickt dabei weiter in die Zukunft als die allermeisten anderen Romane und setzt neben philosophischen Impulsen auch einen neuen Maßstab für den Begriff “Sense of Wonder”.
Platzierung im Vormonat (-)
Die Handlung ist ungemein vielschichtig und die Autorin verknüpft verschiedenste Vorlagen und Settings miteinander. Jüdisch-slawisches Leben und Märchen, Winterwesen und Feuerdämonen, Geldeintreiber, Bauern und Prinzessinnen, und vieles mehr kommen hier vor, aber viele Figuren brechen auch immer wieder aus den erwarteten Bahnen und Wegen aus und überraschen! Man kann das Buch einfach als Märchen lesen, man kann es aber auch als Parabel sehen und viele aktuelle Themen hineininterpretieren und herauslesen. Letztlich ist es das Zusammenspiel von drei Frauen, die sich ihrer Stärken bewusst werden und diese zum Wohl ihrer Familien und Völker einsetzen und damit ihre Welt(en) retten.
Platzierung im Vormonat (-)
Der finale dritte Band der “Dark World Saga” von Ivo Pala führt erneut in die von Dunkelheit geprägte Welt. Die ewige Dunkelheit sorgt für ein buchstäblich düsteres Setting. Pala schafft es erneut, durch Unterhaltung und Kurzweiligkeit seinem spannenden Plot ein passendes Ende zu bereiten. Er schafft es dabei außerordentlich gut, Genregrenzen erzählerisch zu überwinden und lässt darüber hinaus den Leser für einige Stunden dem eigenen Alltag entfliehen. Schriftstellerisch gibt es sicher höherwertige Werke, dennoch siegt hier das Gesamtpaket.
Platzierung im Vormonat (-)
Ein ungewöhnliches Liebespaar beschließt, den Lauf der Welt zu ändern und sich gegen das ihnen prophezeite Schicksal zu stellen. Ihr Ziel: Der Welt Frieden bringen. Es zeichnet sich jedoch schnell ab, dass dies, mit den falschen Methoden verfolgt, nur zu einer noch schlimmeren Spirale der Gewalt führen könnte … Epische, divers aufgestellte Fantasy mit einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte: „Die Töchter von Ilian“ stellt traditionelle Tolkien-Fantasy auf den Kopf und bringt frischen Wind ins Genre.
CN: Vergewaltigung, Transfeindlichkeit
Platzierung im Vormonat (2)
Während die Welt um sie herum erst langsam, dann immer schneller in eine albtraumhafte Dystopie abgleitet, kämpft die schwangere Protagonistin Cedar nicht nur um ihre Freiheit, sondern auch um das Leben ihres ungeborenen Kindes. Erzählt als Tagebuch-Brief an das Ungeborene zeichnet der Roman in bestechend subjektiver Perspektive die Suche nach Halt in einer haltlosen Gesellschaft, nach Identität zwischen den Kulturen und letztlich nach einem sicheren Ort nach. Einfühlsam und bedrückend zugleich – sehr lesenswert!
Platzierung im Vormonat (4)
Trutzburg meint
Würde mich interessieren, ob im nächsten Update “Mutation – Alte Freunde und profitable Kriege” auftaucht. Verdient wäre es definitiv.