Das sind die besten phantastischen Romane der letzten 12 Monate. Jeden ersten Freitag im Monat stellen unabhängige Literaturkritiker*innen und Phantast*innen die besten Romane des Genres vor.
Thaniel Steepletons Tagesablauf gleicht einem Uhrwerk: Jeden Tag der selbe Trott im Innenministerium als Angestellter in der Telegrafieabteilung. Eines Tages liegt jedoch eine goldene Uhr auf seinem Kopfkissen – was für einen Einbruch spricht, der umgekehrter nicht sein könnte. Öffnen lässt sich die Uhr jedoch nicht und dennoch scheint sie etwas Besonderes zu sein… Bereits der Start dieser Geschichte lässt den Leser in die Welt des ausgehenden 19. Jahrhunderts eintauchen. London befindet sich am Scheideweg ins moderne Zeitalter. Natasha Pulley füttert ihre außergewöhnliche Geschichte mit der Jagd nach Bombenlegern, einer Frau, die um ihre Rechte kämpft und einem Hauptdarsteller, dessen langweiliges Leben durch das Kennenlernen eines freundlichen Japaners mit besonderen Fähigkeiten eine ganz neue Ebene beschreitet. „Der Uhrmacher in der Filigree Street“ ist eine absolut außergewöhnliche Geschichte, die sich keiner Schublade zuordnen lässt, ist sehr atmosphärisch und schafft es auf grandiose Art sogar Vielleser nicht nur zu überzeugen, sondern gar zu überraschen. Eine intelligent erzählte Lektüre, die Genreabgrenzungen nicht nur missachtet, sondern in sich aufnimmt.
Platzierung im Vormonat (2)
Eine Krankheit breitet sich aus, rasend schnell und zuvor unbekannt. Eine Ausgangslage, die wir von 2020 nur zu gut kennen. Doch die Krankheit, die Sweeney-Bird für ihren Roman beschreibt, könnte die Hälfte der Menschheit innerhalb kürzester Zeit dahinraffen, denn: Nur Männer entwickeln Symptome und sterben mit hoher Wahrscheinlichkeit. Im Vorfeld von Corona geschrieben, zeigt sich dieser Roman als sehr gut recherchiertes, ergreifendes Gedankenspiel um die Frage, ob die Menschheit sich aus dieser Lage befreien kann.
Platzierung im Vormonat (3)
Berlin in den 1920ern – ein gesellschaftliches Pulverfass. Dann entdeckt die Wissenschaftlerin Nike ein Phänomen, das die Grenzen zwischen Wissenschaft und Magie verschwimmen lässt. Politik, Parteien, Wissenschaft, Privatpersonen – jeder versucht, die neue Magie zuerst zu beherrschen und für die eigenen Ziele zu nutzen. Authentische Persönlichkeiten, ein nebulöser Mord und der Zauber von brandneuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, auf einem hochgefährlichen, politischen Parkett – das Buch sollte man sich definitiv nicht entgehen lassen!
Platzierung im Vormonat (5)
Ardoas ist die siebte Inkarnation der Elfe Naromee. Alle vor ihm sind in der Fremde auf der Suche nach den Erinnerungen ihrer vorigen Leben umgekommen, und auch Ardoas muss sich nun in die Fremde aufmachen. Dort bleibt er nicht lange allein, sondern findet bald Gefährt*innen, die ihn auf der Reise und in seinen Forschungen unterstützen. James Sullivan hat mit “Das Erbe der Elfenmagierin” epische, progressive und wholesome Fantasy geschaffen, die divers, kreativ und spannend ist. Die Story ist so voll von schönem Weltenbau und tollen Beziehungen zwischen den Charakteren, dass es ein Glück ist, dass der zweite und abschließende Band schon Ende Januar 2022 erscheinen wird.
Platzierung im Vormonat (1)
Von einem Studienaufenthalt in Paris kehrt die junge Künstlerin und Protagonistin des Romans “Die nicht sterben” mit äußerst gemischten Gefühlen nach Rumänien zurück. Rumänien ist das Heimatland, das sie mit Vlad dem Pfähler, seines Zeichens die historische Inspiration für Bram Stokers Graf Dracula, teilt. Vor Vampiren fürchtet sie sich zunächst zwar weniger, allerdings hat sie als Kind die beklemmende Zeit der kommunistischen Diktatur miterlebt. Schnell wird ihr klar, dass die Faszination, die Vlad der Pfähler immer noch auf die rumänische Bevölkerung ausübt, ihren Ursprung in der rückwärtsgewandten Sehnsucht nach dem starken Herrscher hat. Insofern scheint ihr das postkommunistische Rumänien nur oberflächlich befreit. Als wäre das an sich nicht schon unheimlich genug, findet man auf dem Grab des Grafen dann auch noch eine gepfählte Leiche: Ist die Dracula-Legende vielleicht doch keine fiktive Schauergeschichte? Gehen in Rumänien tatsächlich Vampire um? Dana Grigorcea spielt in ihrem blitzgescheit konstruierten gesellschaftspolitischen Roman virtuos auf der Klaviatur des Gothic-Genres, um das langzahnige Monster in den Köpfen ihrer Dorfbewohner sichtbar zu machen. Postmoderner Horror vom Feinsten!
Platzierung im Vormonat (7)
Als die verwaiste Mary Jekyll versucht, hinter das Geheimnis ihres verschwundenen Vaters zu gelangen, kommt sie einer Geheimgesellschaft auf die Spur, welche durch medizinische Experimente an Frauen Monster erschafft. Ihr ist klar: Jemand muss die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Dies ist die Geburtsstunde des Athena-Clubs, einer buchstäblich monströsen Frauen-WG im viktorianischen England, die mit ihren detektivischen Fähigkeiten sogar Sherlock Holmes in den Schatten stellt. Die Idee einer Liga der außergewöhnlichen Romanfiguren ist nicht neu, wurde aber selten so erfrischend umgesetzt. Goss fokussiert auf die Selbsterfahrung der einzelnen Frauen und ihren Umgang mit der Erfahrung, künstlich erzeugt worden zu sein. Wenn diese sich in einem emanzipatorischen Akt gegen ihre Schöpfer wenden, werden sie von tragischen Opfern großer Geschichten zu fröhlichen Abenteurerinnen, die ihr schweres Schicksal dezidiert ablehnen, von Ausgestoßenen zu Freundinnen.
Platzierung im Vormonat (-)
Ein fast hellseherisches Buch: Denn die apokalyptische Vision einer weltumspannenden Pandemie, hervorgerufen durch tödliche Pilzsporen aus China via deren Billig-Exporte, erschien schon 2018 und zwingt den Leser dazu, die sich sofort aufdrängenden Corona-Parallelen in all ihren Konsequenzen zusammen mit der Hauptfigur Chandace Chen bis zum bitteren Ende durchzudenken. Das sich langsam entvölkernde New York, die nur scheinbaren Sicherheiten in einer zufällig überlebenden sozialen Gruppe – und vor allem deren hoher Preis : Ling Mas Endzeiterzählung nimmt den Leser in einem fast somnambulen Zustand mit auf ein Roadmovie mit offenen Ausgang – großartige Erzählkunst!
Platzierung im Vormonat (-)
Henry verbindet verschiedene Motive aus Andersens “Die kleine Meerjungfrau” mit dem historischen Fall der vermeintlichen Fiji Mermaid, die P.T. Barnum in den 1840ern in seinem Kuriositäten-Museum in New York ausstellte. Die dabei entstehende Histasy mit Gothic Novel-Anleihen interpretiert Motive des Märchens auf interessante Weise neu und entfaltet eine packende Erzählung rund um die historische Affen-Fisch-Mumie in Barnum’s Ausstellung.
Platzierung im Vormonat (-)
Hannes Steins Roman besteht aus zwölf phantastischen, die Realität und die Historie völlig verrückenden Geschichten aus verschiedenen Ländern, die der “Weltreporter” Bodo von Unruh seiner neuen Liebe Julia erzählt. Erst ganz am Ende erschließen sich ihr die Wahrheiten hinter diesen fiktiven Reportagen, die jede für sich den Möglichkeitsraum des Phantastischen in unglaublich starken Bildern ausloten.
Platzierung im Vormonat (8)
Der heiße Sand der Wüste, das Prickeln neu entdeckter Magie, Sagen und Mythen, die plötzlich zum Leben erweckt werden: Chakraborty beschreibt eine Welt, in der nichts so ist, wie es scheint. Die Protagonistin Nahri muss sich darin zurecht finden und irgendwie überleben, auch wenn sie schon ihr ganzes Leben lang eine Kraft in sich beherbergt, die womöglich stärker und älter ist, als sie je geglaubt hat.
Platzierung im Vormonat (-)
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