Das sind die besten phantastischen Romane der letzten 12 Monate. Jeden ersten Freitag im Monat stellen unabhängige Literaturkritiker*innen und Phantast*innen die besten Romane des Genres vor.
Berlin in den 1920ern – ein gesellschaftliches Pulverfass. Dann entdeckt die Wissenschaftlerin Nike ein Phänomen, das die Grenzen zwischen Wissenschaft und Magie verschwimmen lässt. Politik, Parteien, Wissenschaft, Privatpersonen – jeder versucht, die neue Magie zuerst zu beherrschen und für die eigenen Ziele zu nutzen. Authentische Persönlichkeiten, ein nebulöser Mord und der Zauber von brandneuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, auf einem hochgefährlichen, politischen Parkett – das Buch sollte man sich definitiv nicht entgehen lassen!
Platzierung im Vormonat (3)
Lilli Thal bedient sich alter Erzähltraditionen, um ein packendes Märchen vor antiker Kulisse zu weben: Der unbedachte Fluch einer Göttin bringt Unheil über drei junge Männer, die zu Gold, zu Stein und sehend blind werden. Um sich den entfesselten Arai entgegenzustellen bedarf es mancher List und eines großen Opfers. Der zeitlos literarische Text für Menschen jedes Alters lässt von den ersten Seiten an nicht mehr los, und so ist dieses auch optisch wunderschön gestaltete Buch ein wahres Kleinod und unbedingt lesenswert!
Platzierung im Vormonat (10, 11/21)
Die Nekromant*innen sind zurück! Mit “Ich bin Harrow” setzt Tamsyn Muir dem ersten Band “Ich bin Gideon” (zuletzt auf der Phantastik Bestenliste im November 2020) eine Schippe von allem, was dort schon bestens funktionierte, auf. Mehr Nekromantie, mehr Chaos und mehr geniale Zusammenführungen von Handlungssträngen. Die Protagonistin ist dieses Mal Harrowhark, mittlerweile Lyctor im Dienste des Imperators. Das neue Setting ist geradezu grotesk, mitunter verwirrend, was nicht zuletzt daran liegt, dass Harrows Erinnerungen an die Geschehnisse aus Band 1 nicht ganz zu stimmen scheinen und sie blockieren, während Krieg und Tod schon an der Tür klopfen.
Platzierung im Vormonat (3, 10/21)
Ardoas ist die siebte Inkarnation der Elfe Naromee. Alle vor ihm sind in der Fremde auf der Suche nach den Erinnerungen ihrer vorigen Leben umgekommen, und auch Ardoas muss sich nun in die Fremde aufmachen. Dort bleibt er nicht lange allein, sondern findet bald Gefährt*innen, die ihn auf der Reise und in seinen Forschungen unterstützen. James Sullivan hat mit “Das Erbe der Elfenmagierin” epische, progressive und wholesome Fantasy geschaffen, die divers, kreativ und spannend ist. Die Story ist so voll von schönem Weltenbau und tollen Beziehungen zwischen den Charakteren, dass es ein Glück ist, dass der zweite und abschließende Band schon Ende Januar 2022 erscheinen wird.
Platzierung im Vormonat (4)
Von einem Studienaufenthalt in Paris kehrt die junge Künstlerin und Protagonistin des Romans “Die nicht sterben” mit äußerst gemischten Gefühlen nach Rumänien zurück. Rumänien ist das Heimatland, das sie mit Vlad dem Pfähler, seines Zeichens die historische Inspiration für Bram Stokers Graf Dracula, teilt. Vor Vampiren fürchtet sie sich zunächst zwar weniger, allerdings hat sie als Kind die beklemmende Zeit der kommunistischen Diktatur miterlebt. Schnell wird ihr klar, dass die Faszination, die Vlad der Pfähler immer noch auf die rumänische Bevölkerung ausübt, ihren Ursprung in der rückwärtsgewandten Sehnsucht nach dem starken Herrscher hat. Insofern scheint ihr das postkommunistische Rumänien nur oberflächlich befreit. Als wäre das an sich nicht schon unheimlich genug, findet man auf dem Grab des Grafen dann auch noch eine gepfählte Leiche: Ist die Dracula-Legende vielleicht doch keine fiktive Schauergeschichte? Gehen in Rumänien tatsächlich Vampire um? Dana Grigorcea spielt in ihrem blitzgescheit konstruierten gesellschaftspolitischen Roman virtuos auf der Klaviatur des Gothic-Genres, um das langzahnige Monster in den Köpfen ihrer Dorfbewohner sichtbar zu machen. Postmoderner Horror vom Feinsten!
Platzierung im Vormonat (5)
Ein fast hellseherisches Buch: Denn die apokalyptische Vision einer weltumspannenden Pandemie, hervorgerufen durch tödliche Pilzsporen aus China via deren Billig-Exporte, erschien schon 2018 und zwingt den Leser dazu, die sich sofort aufdrängenden Corona-Parallelen in all ihren Konsequenzen zusammen mit der Hauptfigur Chandace Chen bis zum bitteren Ende durchzudenken. Das sich langsam entvölkernde New York, die nur scheinbaren Sicherheiten in einer zufällig überlebenden sozialen Gruppe – und vor allem deren hoher Preis : Ling Mas Endzeiterzählung nimmt den Leser in einem fast somnambulen Zustand mit auf ein Roadmovie mit offenen Ausgang – großartige Erzählkunst!
Platzierung im Vormonat (7)
Thomas Quinn ist ein halb-gescheiterter Schritsteller und besessen von einem Bestseller den der Assistent seines verstorbenen Vaters geschrieben hat. Als er eines Tages einen seltsamen Brief des zurückgezogenen Autors bekommt, beginnt eine seltsame Schnitzeljagd nach einem geheimen Manuskript, immer verfolgt von Romanfiguren, die es in der realen Welt eigentlich gar nicht geben sollte. Das Buch ist ohne Zweifel vielschichtig, stellenweise etwas wild, aber durchweg zieht er den Leser in den Bann. Immer wieder gibt es kleine Ausflüge in die Naturwissenschaften und Theologie, alles scheint irgendwie verbunden. Der Autor feiert die Magie der Buchstaben und stellt ganz oft die Frage: Was hält unsere Welt eigentlich zusammen?
Platzierung im Vormonat (-)
Ariadne ist eine Prinzessin von Kreta. Doch sie wächst nicht unbedingt wie eine typische Prinzessin auf. Ihr Vater ist Minos, ein cholerischer, grausamer Mann, ihr Bruder ist die Sagengestalt Minotaurus, der die Kreter in Angst und Schrecken versetzt hält. Ariadne will aus diesem Käfig ausbrechen. Doch in dieser Welt entscheiden viel zu oft Götter und Halbgötter, wie das Schicksal von Menschen auszusehen hat, und Ariadne muss sich behaupten, zwischen Familie, Liebe, Mutterschaft und ihrem Wunsch nach Selbstverwirklichung.
Platzierung im Vormonat (-)
Als die verwaiste Mary Jekyll versucht, hinter das Geheimnis ihres verschwundenen Vaters zu gelangen, kommt sie einer Geheimgesellschaft auf die Spur, welche durch medizinische Experimente an Frauen Monster erschafft. Ihr ist klar: Jemand muss die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Dies ist die Geburtsstunde des Athena-Clubs, einer buchstäblich monströsen Frauen-WG im viktorianischen England, die mit ihren detektivischen Fähigkeiten sogar Sherlock Holmes in den Schatten stellt. Die Idee einer Liga der außergewöhnlichen Romanfiguren ist nicht neu, wurde aber selten so erfrischend umgesetzt. Goss fokussiert auf die Selbsterfahrung der einzelnen Frauen und ihren Umgang mit der Erfahrung, künstlich erzeugt worden zu sein. Wenn diese sich in einem emanzipatorischen Akt gegen ihre Schöpfer wenden, werden sie von tragischen Opfern großer Geschichten zu fröhlichen Abenteurerinnen, die ihr schweres Schicksal dezidiert ablehnen, von Ausgestoßenen zu Freundinnen.
Platzierung im Vormonat (6)
Hannes Steins Roman besteht aus zwölf phantastischen, die Realität und die Historie völlig verrückenden Geschichten aus verschiedenen Ländern, die der “Weltreporter” Bodo von Unruh seiner neuen Liebe Julia erzählt. Erst ganz am Ende erschließen sich ihr die Wahrheiten hinter diesen fiktiven Reportagen, die jede für sich den Möglichkeitsraum des Phantastischen in unglaublich starken Bildern ausloten.
Platzierung im Vormonat (9)
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