Das sind die besten phantastischen Romane der letzten 12 Monate. Jeden ersten Freitag im Monat stellen unabhängige Literaturkritiker*innen und Phantast*innen die besten Romane des Genres vor.
Iva Moors Debütroman “Die Alchemie des Träumens” ist ein fantastischer Urban Noir-Roman, in der Träume und Traumata, Leben und Überleben und Musicalsongs im New York der 40er Jahre ihren Platz suchen. Mental Health, chronische Krankheiten, Drogensucht, Exklusion in magischen Communities, Spagat(e) auf dem politischen Parkett und schnufflige Parasiten überborden den aggressiv-nervenaufreibenden Tanzplot zwischen den Protagonistinnen Moira Bran und Sova Skorpin – wie es zwischen Dämoninnen und Hexen halt immer so ist.
CN: Rassismus, Drogen, PTBS, Gewalt, Menschenexperimente
Platzierung im Vormonat (1)
Als Kenji stirbt, bleiben seine Frau Annabelle und Sohn Benny tief traumatisiert zurück. Annabelle verliert die Kontrolle über die Menge an Dingen in ihrem Haus und Benny beginnt die Stimmen dieser Dinge zu hören. Die Schuhe, die Vorhänge, die Fensterscheiben. Sie alle haben plötzlich etwas zu sagen! Als eine Schere aufmüpfig wird und er sich damit selbst verletzt, wird ihm eine psychische Störung diagnostiziert und er muss in eine Klinik. Dort trifft er Aleph, ein wunderschönes Mädchen, das ihn später mitnimmt in ihre Welt auf der Straße. Sie zeigt ihm die Wichtigkeit von Kunst, die Vielfalt von Büchern und vor allem hält sie ihn nicht für verrückt. Ein Coming-of-Age Buch eines Jungen, das die Leidensgeschichte einer verstörten Mutter mit japanischer Zen-Philosophie und amerikanischem Zeitgeschehen zu verbinden weiß.
Platzierung im Vormonat (3)
Der dritte Teil des düsteren Fantasy-Märchens knüpft unmittelbar an das Ende des zweiten Bandes an. Die Stärke von Ronnefeldts Prosa liegt in der Beschreibungssprache: Großartig ist es, wie sie sich auf den ersten Seiten Zeit nimmt, durch die Augen ihres Protagonisten Bendix eine Winterlandschaft zu beschreiben. Während andere Autor*innen mit Action-Szenen in die Handlung einsteigen, zeigt Ronnefeldt ein Stillleben und baut Atmosphäre auf. Wenn sich allmählich die Spannung steigert, hängt man als Leser*in schon längst am Haken. Slow-Food-Phantastik statt Fantasy vom Reißbrett.
Platzierung im Vormonat (6)
Ein Neongrau schillernder, moderner Cyberpunk: Hamburg trotzt 2112 wiederkehrenden Fluten und Starkregen. Stadtteile wurden aufgegeben, neue errichtet. Slums aus Containern schwimmen auf dem Wasser – ebenso wie das gigantische ZONE-Stadium, wo Skater*in Go [Stuntboi] Kazumi für zwei der berühmtesten Glam-Gamer der Welt arbeitet. Die Rahmani-Geschwister sind gefeierte Stars, die ihre Rollen perfekt spielen, hinter ihren Fassaden jedoch streiten und zerbrechen. Während die Stadt sich auf das „Turnier der Legenden“ vorbereitet, führt Gos Identitätssuche sie/ihn in die Arme der mysteriösen ELLL – und in eine Schattenwelt illegaler Flasharenen, Cyberdrogen und einer KI, die über sich hinauswächst …
CN: Körperliche & psychische Gewalt, Alkohol- & Drogenkonsum, Rassismus, Sexismus, Stalking, Transfeindlichkeit
Platzierung im Vormonat (8)
Kindesmissbrauch durch enge Familienmitglieder? Kann man sich einem so schrecklichen Thema “phantastisch” nähern? Ja, Liza Grimm kann das, indem sie das Märchen der “Schneekönigin” mit der Geschichte von Finjas plötzlich verschwundener Tochter Hannah verwebt. Sie legt so feine, versteckte Fährten, die sich erst ganz zum Schluss und behutsam auf das Missbrauchsthema fokussieren, sodass der Leser gezwungen wird, das gesamte Buch noch einmal entlang dieser Fährten zu lesen – wobei auch die Figur der Schneekönigin dabei eine ganz andere Interpretation erfährt.
Platzierung im Vormonat (-)
Brot und Spiele für die Massen in einer von Augmented Reality beherrschten Welt! So könnte der aktuelle Roman von Anika Beer zusammengefasst werden. Will man es noch einfacher beschreiben, ginge auch „Ready Player One“ meets „Tribute von Panem“ und das Ergebnis dann zum Quadrat mit dem Mittelwert von „Inception“ und „Matrix“. Die Lesenden können im Jahre 2054 live das populäre Escape Room-Spiel „Succession Game“ verfolgen, bis am Ende nur ein*e Sieger*in übrig bleibt. Doch zu welchem Preis? Und ist das Ganze überhaupt real? Oder legal? Anika Beer öffnet in ihrem in geschlechtergerechter Sprache verfasstem Roman auf höchstspannender Weise einen „Fluchtraum“ für akute Fragen der Gesetzgebung und Ethik, die angewandte virtuelle Realität und künstliche Intelligenz mit sich bringen.
CN: Körperliche & psychische Gewalt, Experimente an Menschen, Alkohol- & Drogenkonsum.
Platzierung im Vormonat (-)
Blutige Action, abscheuliche Monster und eine ordentliche Portion Body Horror: Bei Nebulapreisträger P. Djèlí Clark werden die Grauen von Jim Crow zu einer Zombiegeschichte, in der eine Gruppe Schwarzer Widerstandskämpfer*innen es mit dem Ku-Klux-Klan und boshaften Mächten aus einer anderen Dimension aufnehmen müssen. Während er die traumatische Geschichte der Sklaverei nicht beschönigt, macht er sie auch nicht zum Mittelpunkt und erinnert daran, dass in der afroamerikanischen Vergangenheit nicht nur Schmerz zu finden ist, sondern auch fast vergessene Traditionen wie der Ring Shout und eine starke gemeinsame Identität, aus der die Protagonistin ihre Kraft zieht. Eine Verneigung vor der Resilienz einer Kultur, die selbst unter furchtbarsten Bedingungen allen Auslöschunsgversuchen getrotzt hat.
CN: Drastische Gewalt, Bodyhorror, rassistische Sprache (u.A. N-Wort)
Platzierung im Vormonat (5)
Die Städte sind überfüllt, der Müll ein großes Problem und die Luft ist nicht mehr atembar – all das macht die Menschen in einer nicht näher beschriebenen Zukunft krank. Doch es gibt eine Lösung: In einem Reservat sollen Menschen wie Jäger und Sammler leben und zeigen, dass eine Rückkehr möglich ist. Um ihre Tochter zu retten, nimmt Bea an diesem Experiment teil. Doch auf wen kann sie sich verlassen? Und wie lange wird diese Illusion der Idylle halten?
Platzierung im Vormonat (9)
In ihrer Terra-Ignota-Reihe zieht die Historikerin Ada Palmer eine direkte Linie von der europäischen Aufklärung bis ins 25. Jahrhundert und entwirft eine ideengeschichtlich informierte Utopie ohne Staatsgrenzen, in der Religion strenge Privatsache ist. Doch die schöne Fassade bröckelt und so tritt der geläuterte Serienmörder Mycroft Canner auch im zweiten Band als Chronist einer Zeit politischer Spannungen und sozialer Unruhen auf, die den Jahrhunderte währenden Frieden auf der Erde in Gefahr bringen. Denn während schillernde Gestalten ihre politischen Intrigen spinnen und eine machiavellische Bordellbetreiberin ein Machtmonopol errichtet, geht die wahre Gefahr von Mycrofts Schützling aus, einem magischen Kind, das die ganze Welt in eine Glaubenskrise stürzen könnte.
Platzierung im Vormonat (-)
Die Orkney-Inseln sind nach der Invasion der Christen der einzige Rückzugsort für Druiden und Schattenwesen aus einer anderen Zeit. All jene Schattenwesen sind in einem Wald untergekommen und werden dort von Mylo – einem leicht grantigen Druiden-Azubi, der seine Aufgabe nicht leiden kann – gefüttert und versorgt. Eines Tages bringt ein Kobold alles durcheinander, indem er die Milch trinkt, die eigentlich für die Todesfee bestimmt ist. Mylo muss das büßen und wird verflucht. Um den Fluch wieder loszuwerden, wendet er sich an das gefährlichste aller Schattenwesen und kommt auf dieser Quest nicht nur seiner eigenen Herkunft auf die Spur, sondern lernt auch, dass die meisten Schattenwesen gar nicht mal so übel sind. Ein tolles Buch voller schottischer Sagengestalten, Avalon-Mystik und amüsanten Dialogen.
Platzierung im Vormonat (-)
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