Ab November erscheinen nun einmal monatlich Interviews mit phantastischen und erlesenen Autor*innen. Den Anfang machen das Autor*innen-Team Judith und Christian Vogt, deren Bücher aufmerksamen LeserIinnen unserer Bestenliste wohlbekannt sein dürfte. Das Interview führte Suse.
Beschreibt euch doch bitte als Einstieg gegenseitig in drei Worten.
Judith ist utopisch, feminazgûlesk, leidenschaftlich
Christian ist begeisterungsfähig, experimentierfreudig, sensibel
Was sind eure Projekte und Leidenschaften?
Neben dem Schreiben sind unsere großen Leidenschaften Erzählspiele und die drei großen F: historisches Fechten, Fysik, äh, Physik und Feminismus. Unser aktuelles Projekt ist daher auch ein Rollenspiel, zu dem auch ein Roman erscheinen wird: Aces in Space. Man spielt eine Gang von Raumjägerpilot:innen – halb Battlestar Galactica, halb Sons of Anarchy, ganz Social-Media-Star. Außerdem hoffen wir, in die Welt der 13 Gezeichneten irgendwann zurückkehren zu können (siehe unten). Als nächstes steht jetzt aber neben kleineren Projekten wie unseren Patreon-Geschichten und -Spielen und einem kartenbasierten Erzählspiel ein Roman über Berlin in den Zwanzigern an – mit magischer Architektur und übernatürlicher Physik.
Judith, du hast mir verraten, dass du ein Unternehmen zum Thema “CO2–Einsparungs-Gamification” berätst. Was können wir uns darunter vorstellen?
Haha, ja, ich war anderthalb Tage bei einem Unternehmen zu Besuch und habe da ein kleines Team zum Thema “CO2-Planspiel” beraten. Es geht darum, in einem kooperativen Spiel verschiedene Perspektiven einzunehmen – Stadtwerke, Bürger:innen, Politik – und neue Synergien dazwischen zu finden. Das war ziemlich spannend, aber wir sind noch nicht fertig – ich bin gespannt, wo wir landen! Letztlich wird das Spiel gegen die “Zeit” laufen – bis 2050 muss der CO2-Ausstoß um 95% verringert sein und das leider nicht nur im Spiel.
Was ist das Besondere an eurem neuen Buch “Wasteland”?
Zunächst einmal sieht Wasteland aus wie eine düster-abgedrehte Mad-Max-Apokalypse, ist dabei aber eine Utopie in der Dystopie, also eine Art Neuanfang in den Trümmern des Weltuntergangs; eine Fingerübung im Hoffen. Außerdem haben wir Wasteland in gendergerechter Sprache geschrieben (und damit vielleicht der erste Roman in deutscher Sprache, der das versucht hat) – das bedeutet nicht, dass er Binnen-Is oder Gender-* nutzt (weil wir das momentan eher als Mittel für Sachtexte und Briefe sehen), sondern dass wir das generische Maskulinum für Gruppen vermeiden, die nicht nur aus Männern bestehen.
Womit prokrastiniert ihr am liebsten?
Ich wünschte, ich könnte hier was anderes schreiben, aber ich glaube, es ist für alle, die uns auf Twitter folgen, ersichtlich, dass wir vor allem dort prokrastinieren! Ist aber nicht so schlimm, wir haben dort auch ziemlich viel gelernt.
Welches eurer Bücher sollten wir jetzt sofort aus welchem Grund lesen?
Am wenigsten gehyped ist ja eigentlich die Trilogie “Die 13 Gezeichneten”, aber die Revolution gegen festgefahrene politische Systeme ist unser absolutes Lieblingsprojekt gewesen und wir haben Jahre an den drei Bänden gearbeitet. Wir würden uns freuen, wenn es mit dem Erscheinen des dritten Bands im Februar vielleicht noch ein paar geneigte Leser:innen finden würde, mal sehen …
Und welches Buch (nicht von euch) sollte jede:r von uns lesen?
Das ist ja einfach. “Zerrissene Erde” von N.K. Jemisin!
Was muss ein perfektes Buch überhaupt bieten?
Etwas Neues, oder etwas Altes in einem neuen Blickwinkel betrachtet, oder etwas Unvorhergesehenes. Wir glauben ja nicht an dieses “Es gibt nur [Anzahl] erzählbarer Geschichten und alles andere sind Varianten.” Wir denken, es gibt noch sehr viel zu entdecken, noch sehr viele Geschichten, die wir noch nicht erfahren haben.
Hattet ihr schon mal eine Schreib- und/oder Leseblockade? Was hat dagegen geholfen?
Wir leiden schon mal hin und wieder darunter, dass wir beim Schreiben nicht so richtig vorankommen oder langwierig an etwas herumschreiben, aber eine richtige Schreibblockade hatten wir zum Glück beide noch nicht. Leseblockaden schon eher – als die Kinder kleiner waren, war es schwierig, sich von Büchern aufsaugen zu lassen, und da hatten wir schon ab und zu den Eindruck, dass uns nichts mehr richtig fesseln kann. Aber das hat sich zum Glück wieder geändert und wir lesen trotz Twitter und Netflix so einiges weg. Diese “Leseblockade” war allerdings auch zeitgleich mit einer gewissen Eintönigkeit im von uns favorisierten Genre, ich (Judith) weiß noch, dass ich eine Zeitlang dachte, dass ich Fantasy und Science-Fiction nicht mehr viel abgewinnen kann. Seit so viele interessante neue Stimmen, deutschsprachig wie international, da sind, bin ich aus diesem Loch wieder raus.
Was sollte sich im Literaturbetrieb ändern?
Die Zeit der Zentralisierung ist vorbei. Künstler:innen und Autor:innen können nur in den seltensten Fällen von dem leben, was Verlage ihnen bezahlen, Plattformen wie Patreon und Kickstarter werden immer attraktiver und auch die Möglichkeiten, die das Self-Publishing bietet. Wenn man ein Buch wirklich so umsetzen will, wie man es sich vorstellt, bleibt oft keine andere Alternative. Ich denke, die Verlage werden komplett neuen Veröffentlichungsformen entgegenkommen müssen, wenn sie zukunftsfähig bleiben wollen – und Autor:innen werden in Zukunft Geschichten vielleicht auch in anderen Medien als Büchern erzählen. Noch fehlt es uns aber an sinnvollen Möglichkeiten der Neuorientierung.
Wie seht ihr die Zukunft in 100 Jahren?
Düster. Offenbar sind wir momentan bereits seit 30 Jahren nicht in der Lage, die nötigen Maßnahmen zum Erhalt unserer Lebensgrundlage zu ergreifen. In 100 Jahren haben Klimawandeln, Insektensterben usw. vermutlich voll zugeschlagen. Sollten wir es dennoch überstehen (vielleicht kriegen wir global gesehen noch den Hintern hoch, vielleicht helfen uns auch KIs beim Entwickeln neuer Strategien, wer weiß, vielleicht leben wir aber auch in kleinen Utopien in der Dystopie wie bei “Wasteland”), hoffen wir doch sehr, dass die gesellschaftliche Entwicklung mit dem technischen Fortschritt endlich gleichzieht und das post-kapitalistische Leben unserer Enkel:innen von Gleichberechtigung, Freiheit und Miteinander geprägt ist.
Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit für dieses Interview genommen habt!
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