Nach jahrelanger Pause führen wir unsere monatliche Interviewreihe mit phantastischen und erlesenen Autor*innen endlich wieder fort. Den Anfang macht für 2024 Elea Brandt, die mit “Kalubs End – Outlaws in Space” in der aktuellen Bestenliste auf Platz drei zu finden ist. Unseren aufmerksamen Leser*innen dürfte auch wohlbekannt sein, dass Elea bereits mit ihren früheren Romanen “Sand und Wind” und “Opfermond” die Bestenliste unsicher gemacht hat. Das Interview führte Aşkın.
Hallo Elea, beschreib dich doch bitte als Einstieg in drei Worten.
Queerfeministische Shitstormtrooperin & Vollzeitgeek
Was sind deine aktuellen Projekte und was sind deine größten Leidenschaften?
Aktuell überarbeite ich die Fortsetzung zu „Kalubs End“, damit sie Ende des Monats ins Lektorat kann. Und da nach dem zweiten Band noch immer eine Menge Plot übrig ist, werde ich mich dann direkt in die weitere Arbeit an Teil 3 stürzen, damit Leser*innen nicht zu lange auf den Abschluss der Trilogie warten müssen.
Meine größte Leidenschaft ist das Fantasy-Rollenspiel. Ich spiele schon seit vielen Jahren Pen and Paper und bin auch in verschiedenen Live-Rollenspiel-Settings aktiv. Angefangen habe ich – wie die meisten – im klassischen High-Fantasy-Bereich, v.a. mit “Das Schwarze Auge”, mittlerweile interessiere ich mich aber besonders für Horror-Rollenspiel und Settings der Gegenwart. Cineastische Szenen zu erleben und mich emotional so richtig in meinen Charakter zu versenken ist mir dabei das Wichtigste.
Was ist das Besondere an deinem neuen Buch “Kalubs End – Outlaws in Space”?
“Kalubs End” ist ein progressiver Genremix, der Versatzstücke aus dem Science-Fiction-Genre mit Western-Elementen verbindet und gleichzeitig eine Brücke in politische Debatten der Gegenwart schlägt. Dabei geht es um Ressourcenmanagement, Nachhaltigkeit, Kapitalismuskritik und Optimismus in Krisenzeiten. Es ist ein Roman, der zwar gesellschaftspolitische Krisen in den Fokus nimmt, aber auch Hoffnung auf eine Zukunft macht, in der Solidarität und Respekt die höchsten Güter sind.
Womit prokrastinierst du am liebsten?
Indem ich Etsy nach „total wichtigen“ Utensilien fürs Live-Rollenspiel durchsuche, die ich „ganz sicher“ brauchen werde, aber am Ende eh nicht kaufe.
Welches deiner Bücher sollten wir jetzt sofort aus welchem Grund lesen?
Da möchte ich ganz besonders „Mutterschoß“ hervorheben. Aufgrund der Corona-Pandemie ist der Roman ein wenig untergegangen, was ich sehr schade finde. Wo „Kalubs End“ eher leise, hoffnungsvolle Töne anschlägt, ist „Mutterschoß“ eine laute, wütende und schmerzhafte Abrechnung mit patriarchaler Unterdrückung. Es ist keine leichte Kost und ich empfehle vor dem Lesen einen Blick in die Content Notes (z.B. auf meiner Website), aber ich liebe diesen Roman für die Wucht und die Emotionen, die er transportiert.
Und welches Buch (nicht von dir) sollte jede*r von uns lesen?
Puh, schwierig, nur eines zu nennen. Auch, wenn die Romane mittlerweile schon einige Jahre alt sind und sie – hoffentlich – schon jeder kennt, würde ich sagen: die „Broken Earth“-Trilogie von N.K. Jemisin. Als ich den ersten Teil „Zerrissene Erde“ zum ersten Mal gelesen habe, war das eine Offenbarung. Ich war zutiefst beeindruckt von der Sprache, von dem unfassbar dichten Weltenbau und diesem tiefen, dumpfen Schmerz, der der ganzen Geschichte innewohnt. Es hat meinen Blick auf Literatur und auf die Phantastik in jedem Fall nachhaltig geprägt.
Was muss ein perfektes Buch überhaupt bieten?
Ich lese (und schreibe) sehr charakterzentriert, d.h. ein Buch muss mich in erster Linie mit seinen Figuren begeistern. Ich muss sie nicht unbedingt mögen, aber sie sollten mich faszinieren und mich neugierig machen auf ihre Geschichte. Auch gute Dialoge oder außergewöhnliche Weltenbaudetails können mich sehr gut fesseln.
Hattest du schon mal eine Schreib- und/oder Leseblockade? Was hat dagegen geholfen?
Ich bin kein großer Fan des Begriffs „Blockade“, weil er den Anschein erweckt, als wäre das ein unentrinnbares Schicksal, das von außen wie ein Blitz einschlägt. Aber natürlich gibt es immer wieder Phasen, in denen es mir schwer fällt, zu lesen oder zu schreiben – und das ist okay. Ich versuche dann, gut auf meine Bedürfnisse zu achten und gönne mir eine kurze Pause, wenn nötig. Manchmal hilft es mir auch, das Medium zu wechseln (vom Buch zum Hörbuch, z.B.) oder mit anderen über meine Schreibpläne zu sprechen. Irgendwann löst sich der Knoten dann nach meiner Erfahrung auch wieder.
Was sollte sich im Literaturbetrieb ändern?
Aus meiner Sicht mangelt es im Literaturbetrieb immer noch an Strukturen, die Diskriminierung auf verschiedenen Ebenen entgegen wirken. Zwar haben mittlerweile viele Verlage realisiert, dass „Diversität“ vielversprechend ist, häufig bleibt es aber bei performativen Lippenbekenntnissen. Seit einiger Zeit mache ich mir auch zunehmend Sorgen über die Kritik- und Debattenkultur. Ich habe das Gefühl, dass die Auseinandersetzung mit Literatur – auch in der Phantastik – ständig von Extremen geprägt ist: massiver Hype oder massiver Shitstorm. Ich würde mich freuen, wenn wieder mehr Raum für Grautöne und eine ehrliche, konstruktive Auseinandersetzung mit Kritik bleibt.
Wie siehst du die Zukunft in 100 Jahren?
Puh, schwierige Frage. Ich würde mir wünschen, dass wir als Gesellschaft über Diskriminierung und Turbokapitalismus hinausgewachsen sind. Dass wir einen Weg gefunden haben, die Welt mit neuesten Technologien lebenswert für alle zu gestalten und nachhaltig mit unseren Ressourcen umzugehen. Aber so richtig glaube ich noch nicht daran.
Vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast!
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