Für das Autor*inneninterview des Monats konnten wir für März den Science-Fiction-Autor Sven Haupt gewinnen! Sven belegt mit seinem Roman “Niemandes Schlaf” in der aktuellen Bestenliste Platz sechs und war bereits 2023 mit “Wo beginnt die Nacht” in der Bestenliste vertreten. Das Interview führte Aşkın.
Hallo Sven, beschreib dich doch bitte als Einstieg in drei Worten.
„I. Don’t. Know.“ Okay, das ist nicht hilfreich. „Does. Not. Compute.“ Ich sehe schon, das wird nicht einfach. Hm. „Brauche. Mehr. Kaffee.“ Schon besser. Immerhin authentisch. „No. Gender. Found.“ Zu kontrovers. Keinen Bock auf Heugabeln und Fackeln vor der Tür. „Has. To. Write.“ Zu Klischee. Boa, das ist echt nicht einfach. „I. Love. Pink.“ Okay, Schatz, bleib ernst. Hey, wie wäre „I. Need. A. Hero.“ Das sind vier Worte, honey. Okay, ich bin überfordert.
Was sind deine aktuellen Projekte und was sind deine größten Leidenschaften?
Ich schreibe im Moment an meinem zehnten Buch. Ein SciFi-Roman mit dem Titel „Ich bin die Sehnsucht“. Ja wirklich. Auch muss ich gerade an Robert Musils Werk „Der Mann ohne Leidenschaften“ denken. Ich weiß nicht warum. Ich bin ein wenig neurodivergent, deswegen sind Leidenschaften nicht mein Spezialgebiet. Meine Heldinnen sind aber durchaus leidenschaftlich. Das ist interessant, da habe ich nie drüber nachgedacht. Vielleicht lebe ich Leidenschaften durch die Protagonist*innen meiner Bücher aus. Geht das? Darf man das? Mal das Internet fragen. Ich bin aber auch erst fast quasi schon fünfzig. Vielleicht gibt’s Leidenschaft ja irgendwann als Pille. Meine Freundin hat gerade schallend angefangen zu lachen. Keine Ahnung warum.
Was ist das Besondere an deinem neuen Buch “Niemandes Schlaf”?
Besonders für wen? Für mich? Hm. Die ersten Aufzeichnungen zu diesem Roman sind fast zwanzig Jahre alt. Manches liegt tief unten in unserem Unterbewusstsein und wartet geduldig auf seine Zeit. Oft, ohne einem was davon zu sagen, warum auch? Selbst wenn die Zeit dann kommt, ist es alles andere als einfach. Ich habe ein Jahr lang darum gekämpft, Lou’s Geschichte zu finden und ein weiteres sie zu verstehen. Danach habe ich mein Möglichstes getan sie so respektvoll wie möglich zu erzählen. Ein Jahr nach Vollendung habe ich dann realisiert, wie viel von mir selbst in diese Protagonistin eingeflossen ist. Man würde meinen, dass einer schreibenden Person so etwas auffällt. Ist aber tatsächlich in der Literatur schon fast zum Klischee erstarrt. Autor*in schreibt und schreibt und lernt irgendwann, am besten von den Leser*innen, wer eigentlich aus den Seiten zurückschaut. Ich behaupte das gegenüber jungen Autor*innen immer wieder. Eigentlich sind wir außerstande über etwas anderes zu schreiben als uns selbst.
Womit prokrastinierst du am liebsten?
Im Moment? „Gilmore Girls“ auf Netflix schauen. Oder Ohrringe auf Amazon bestellen. Oder Kaffee trinken. Oder Interview-Fragen beantworten. Ich plane in fünf Minuten vor dem Kühlschrank zu stehen und mich selbst davon zu überzeugen, dass ich Kalorien brauche, weil mich diese Interviewfragen so überfordern.
Hmm, wenn wir schon bei den „Gilmore Girls“ sind, who is your favourite and why: Rory, Lorelai, Emily, Sookie, Lane oder Paris?
Sookie. Sie hat ihre Leidenschaft gefunden und investiert alles darin. Sie ist authentisch, liebevoll und ein herzlich guter Mensch, kann aber auch für sich aufstehen, wenn sie schlecht behandelt wird. Ich liebe ihre leicht neurodivergente Seite und wie wundervoll harmonisch sie in eine Gruppe eingebettet ist, wo Menschen ihre charmanten Idiosynkrasien respektieren.
Welches deiner Bücher sollten wir jetzt sofort aus welchem Grund lesen?
Das klingt stressig. Sowas lese ich und bin schon halb in einer Panikattacke. Ich gehe mir mal Kaffee holen und versuche zu atmen. Kaffee hilft gegen Panik, oder? Macht gerade voll Sinn für mich. Also, dem Feedback meiner Leser*innen nach zu urteilen, habe ich ihnen mit „Stille zwischen den Sternen“ die meiste Freude bereitet. Allerdings nicht, wenn man ein straighter, alter, weißer Mann ist. Die haben viel (viel!) Zeit darauf verwendet mir zu erklären, was alles falsch mit dem Buch ist. Das Problem ist: Wenn ich in den Spiegel schaue, schaut jemand zurück, der sich liest wie ein alter weißer Mann, was mega verwirrend ist. Vielleicht ist die Panik jetzt verständlich. Ich brauche mehr Kaffee.
Und welches Buch (nicht von dir) sollte jede*r von uns lesen?
Hm, in welchem Genre? SciFi? Die Novelle „Story of Your Life“ von Ted Chiang gehört, was den puren Level an Genie des Autors betrifft, zu dem Besten, was ich in vielen Jahren in diesem Genre gelesen habe. Das Werk sollte an Universitäten gelehrt werden. Wer es ein wenig entspannter mag und bei progressiven Ideen nicht zur Panik neigt, dem sei Becky Chambers „The Long Way to a Small, Angry Planet“ ans Herz gelegt. Wer hardcore SciFi mag und gerne überfordert ist, dem kann ich meinen absoluten Lieblingsroman empfehlen: „Blindsight”, von Peter Watts. Ich habe ihn viermal gelesen und so richtig verstehe ich ihn immer noch nicht.
Was muss ein perfektes Buch überhaupt bieten?
Ich glaube nicht, dass es perfekte Bücher gibt. Aber ich kann mich mal unbeliebt machen, wo ich gerade hier bin. Für eine gute Näherung an Perfektion wäre es nützlich, wenn Autor*in etwas zu sagen hat. Ich habe viel als Lektor mit jungen Autor*innen gearbeitet und stelle immer wieder dabei fest, dass neunzig Prozent vom Schreiben Handwerk ist. Das kann man lernen. Echt jetzt. Man kann lernen Dialoge zu schreiben und man kann sich beibringen, wie man Strukturen baut. Selbst Dramaturgie der Szenen, das Etablieren von Subtext oder glaubhafte Charakterzeichnung ist alles kein Hexenwerk. Es braucht kein Genie, sondern eher viel Übung. Aber trotz allem gibt es Elemente, die man nicht lernen kann. Egal was man tut. Eines dieser Elemente ist leider kritisch. Man muss etwas zu sagen haben und es mit vollem Herzen und unter Einsatz seiner ganzen Seele auch wirklich sagen können wollen müssen. Es kann nur von einem wahren, echten und authentischen Ort kommen. Es muss. Denn Leser*innen merken es sofort, wenn es das nicht tut. Wann immer ich bereit bin die Genie-Karte für ein Werk zu ziehen, stellt sich meist heraus, dass Autor*in mit einem überirdisch hohen Level an commitment gearbeitet hat (Manchmal auch unter dem Begriff Wahnsinn bekannt). Habe ich selbst übrigens auch nicht. Ich erzähle einfach gerne Geschichten.
Hattest du schon mal eine Schreib- und/oder Leseblockade? Was hat dagegen geholfen?
Ich wusste nicht mal, dass es so etwas wie Leseblockaden gibt. Mensch lernt nicht aus. Ich behaupte jedoch gegenüber jüngeren Autor*innen immer wieder, dass es so etwas wie eine Schreibblockade nicht gibt. Wenn dem so wäre, gäbe es keine Tageszeitungen, denn Journalist*innen können sich Schreibblockaden nicht leisten. Ich weiß aber, dass wir unsere kreativen Kanäle gerne selbst verstecken oder blockieren und dann behaupten, dass sie verschwunden sind oder nie da waren. Was in diesen Fällen bei mir hervorragend funktioniert, ist die Übung der Morgenseiten wie Julia Cameron sie in ihrem Buch „The Artist’s Way“ beschreibt.
Was sollte sich im Literaturbetrieb ändern?
Sorry, ich kenne den Literaturbetrieb nicht gut. Ich möchte mir da keine Meinung erlauben. Ich bin in einem winzigen Verlag und liebe meine Verlegerin Jana innig. Gerüchten zufolge, die ich weder widerlegen noch bestätigen kann, ist der große, echte Literaturbetrieb, dort wo richtige Autor*innen publizieren, ein furchterregender kapitalistischer Sumpf; eine endlos brennende Mülltonne, in der Künstler*innen missbraucht werden und die grauen Herren aus „Momo“ bereit sind alles, aber auch wirklich alles, zu publizieren, wenn es irgendwie im Verdacht stehen könnte Umsatz zu produzieren. Selbst wenn man dafür in fünfzig Schatten von grau drucken muss. Muss wahr sein, steht so im Internet. Auf der anderen Seite sind alle meine Bücher auf Amazon zu kaufen und die produzieren nun echt keinen Umsatz. Also was weiß ich schon. Aber „Momo“ lesen! Echt jetzt.
Wie siehst du die Zukunft in 100 Jahren?
Ich bin fast fünfzig und mir schwant langsam, dass es im Bereich des Möglichen liegt, dass ich dann nicht da sein werde, um darüber zu schreiben. Hat auch seine Vorteile.
Warum gibt es keine Fotos von dir online?
Weil ich zwei Möglichkeiten habe. Entweder sind die Fotos so, dass ich mich darauf nicht erkenne und das macht mich traurig, oder aber ich erkenne mich auf dem Foto als ich, dann aber fühle ich mich nicht mehr wohl, denn ich gebe Menschen Informationen, von denen ich hoffen muss, dass sie respektvoll behandelt werden. Das Wort respektvoll gebrauche ich in Bezug auf unsere Gesellschaft neuerdings zunehmend seltener. Seltsam, ich weiß.
Vielen Dank, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast!
Wo ist Sven Haupt zu finden?
Sven Haupt ist nicht zu finden. Yay for me!
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